Wie es begann

Beitrag für das Journal „Offene Kirchen in Sachsen-Anhalt“

Kennen Sie die Horburger Madonna? Wenn Sie jetzt nein sagen oder vielleicht, dann ist das schon ein Teil des Problems. Dabei liegt der Schatz doch inmitten der herrlichen Elster-Luppe-Aue zwischen Leipzig, Merseburg und Halle. Der Pilgerweg führt an der Horburger Kirchenpforte vorbei. Rad- und Wanderwege bringen an schönen Tagen hunderte Ausflügler von Leipzig gen Merseburg und Halle. Die Sachsen-Anhalter ziehen vorbei in Richtung Leipzig. Der Grüne Ring von Leipzig tangiert das Dorf. Sommerfrische in der Liebenau…

Unser Schatz steht in edler Verwandtschaft mit den Domen von Naumburg, Merseburg und Meißen. Unser Kunstschatz ist die Horburger Madonna, ein Werk des Naumburger Meisters. Das herausragende Werk europäischer Bildhauerkunst brachte im Mittelalter eine namhafte Marienwallfahrt nach Horburg zur Entfaltung. Pilger aus Nah und Fern beteten die Weinende Madonna an. Dies geschah jährlich am 8. September, dem Tage Mariae Geburt.

Die Landesausstellung zum Naumburger Meister im Jahre 2011 zeigte unsere Himmelgöttin im Reigen großer europäischer Bildhauerkunst im Naumburger Dom. So schön, so erhaben, so göttlich sahen wir sie in unserer Dorfkirche nie. Diese Erfahrung versetzte uns, einige wenige Dorfbewohner bei Gesprächen über den Gartenzaun in Unruhe. „Man müsste doch…!“.

Die Neugier der Kinder brachte den Stein ins Rollen

Während wir uns noch fragten, warum die Kirchentür immer verschlossen sei, warum die Madonna so einsam sei und so trist in der Marienkirche wirke, warum das Kunstwerk von europäischem Format weder in der Kirchgemeinde noch in der politischen Gemeinde als große Identitätsstifterin und Alleinstellungsmerkmal wahrgenommen und nach Innen und Außen vertreten werde, passierte das Faktische. Der Kindergarten fragte an, ob die Kinder nicht einmal in die Kirche, das große, geheimnisvolle und fremde Bauwerk hinein schauen könnten. Schon die ganz kleinen Horburger Kinder erkennen von weitem her, wenn sie die Landmarke, den mächtigen 36 m hohen Kirchturm erblicken, dass dort ihr Hause ist. Wir beließen es nicht beim Hineinschauen sondern bereiteten einen erlebnisreichen Vormittag vor. Die Kindergartenkinder erlebten eine Kirchenführung und ein begeisterndes Orgelkonzert zum Anfassen und Mitmachen. Diese Erfahrung wurde Grundlage für weitere Aktivitäten für die Kinder der Kindertagesstätte, der Grundschule, des Schulhorts und der Ferienspiele: Lesungen, Konzerte, Geschichtsexpeditionen und Kulturraumeroberungen.

Es folgten auch immer häufiger Kirchenführungen für Reisegruppen, Pilger und Fachleute. Wir lernten, dass es Interessen und Bedürfnisse gibt, die Dorfkirche zu entdecken, zu erobern und dort besondere Erfahrungen zu machen. Die, die wir diese Projekte realisierten, gehören nicht der Kirchgemeinde an. Das trifft auch auf die übergroße Mehrheit der Besucher, Kinder wie Erwachsene, zu. Und dennoch wird eine Bindung zu diesem besonderen, geweihten Raum gesucht und aufgebaut.

Unsere Aktivitäten entstanden bis dahin stets auf externe Anfrage hin, spontan und zufällig. Ganz privat wurden sie realisiert. Die Kirchgemeinde übergab immer wieder unkompliziert den Kirchenschlüssel. Wir bemerkten aber sehr bald, dass wir unsere Aktivitäten auf ein anderes Fundament stellen müssten, denn wir agierten ja losgelöst von der Kirchgemeinde. Wir wollten zu einem ergänzenden Miteinander, zu einer verbindlichen Arbeitsstruktur, zu gemeinsamen Planungen und Abstimmungen kommen.

Abermals verging Zeit. U. a. deshalb, weil ja die Mehrheit der Gleichgesinnten konfessionell nicht gebunden ist und sich eine Bindung an den Gemeindekirchenrat nicht recht vorstellen konnte. Lange Zeit wurde eine Verankerung beim örtlichen Heimatverein gewünscht. Nach vielen informellen und offiziellen Gesprächen ist nun eine Anbindung an den Gemeindekirchenrat vollzogen worden. Entscheidenden Rückenwind für die Schaffung einer leistungsfähigen Arbeitsstruktur gab der Verband der Kirchbauvereine von Sachsen-Anhalt (VDKSA) mit Frau Dr. Bühring in verantwortlicher Position.

Im Februar 2014 erhielt der Freundeskreis Horburger Madonna per Gemeindekirchenratsbeschluss grünes Licht für sein Wirken in der Marienkirche zu Horburg.

Das historische Vermächtnis

Bereits im Jahre 1124 war ein angesehenes Horburger Adelsgeschlecht mit Fredericus de Horeburc bezeugt. Am Ende des 12. Jahrhunderts ließ der Merseburger Bischof Eberhard eine Burg im Bereich des heutigen Horburger Mühlenhofes errichten und bestimmte von da an die Ortsgeschichte. Die Burg, später Schloss genannt, verlor seine Bedeutung mit der Reformation und verfiel. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Horburger Marienkirche als Patronatskirche der Merseburger Bischöfe entstand und dieser Tatsache die Gewinnung der wertvollen Skulptur zu verdanken ist.

Ein Tränenwunder um den Tag Mariae Geburt brachte die mittelalterliche Wallfahrt zur Weinenden Madonna von Horburg zur Entfaltung. Aus dieser Wallfahrt gewannen die Horburger Kirche und die Bischöfe beachtliche Einnahmen. Die Kirche galt als wohlhabend und konnte einen stattlichen gotischen Kirchenbau mit bemerkenswerten Kunstwerken über einem romanischen Vorgängerbau realisieren. Der Bischof konnte wiederum mit den Einkünften das Barbarahospital auf dem Merseburger Neumarkt finanzieren. Mit der Reformation ging das Tränenwunder der Madonna verloren. Bedeutungsverlust und Verarmung der Kirche begannen. Trotz Ächtung konnte die Wallfahrt nach der Reformation lange nicht unterbunden werden. Auch der florierende Markt fand weiterhin statt. An den erinnert noch heute das jährliche Volksfest, der Horburger Zwiebelmarkt. Um 1700 machte man Ernst mit dem „Aberglauben“ in der lutherischen Pfarrkirche. Die Horburger Madonna verschwand über Nacht, blieb bis zum Jahre 1930 verschwunden und wurde vergessen.

Am Beginn einer umfassenden Kirchensanierung im Jahr 1930 wurde die wertvolle, lebensgroße Skulptur, in Teile zerlegt und im Altartisch eingemauert, wiedergefunden. Sogleich wurde eine neue Ausmalung der maroden Kirche im Geiste der Zeit besorgt. Ein Jahr lang wurde die Horburger Madonna in der Kirchen- und Kunstwelt gefeiert. Ein letztes Mal flammte die Begeisterung 1933 auf, als Horburg sein vermeintlich 1000-jähriges Bestehen feierte. Dann kamen das Dritte Reich, die DDR- Zeit und nun die rasanten gesellschaftlichen Umwälzungen mit ihren jeweils eigenen Zumutungen für die Kirchen. Um die Horburger Madonna blieb es einsam. Ihre kunsthistorische Prominenz half ihr nicht mehr aus dem Schattendasein heraus. Bis sie dann 2011 in den Naumburger Dom kam und einen Stein ins Rollen brachte.

Lebensfülle für die Heimstatt der Horburger Madonna

Nun hat sich der Freundeskreis Horburger Madonna an der Seite des Gemeindekirchenrates gegründet. Er vereint Gleichgesinnte mit und ohne Taufschein. Alle eint die Überzeugung, dass die Marienkirche mit ihrer Horburger Madonna ein einzigartiges Zeugnis der Geschichte des Ortes und Landstrichs ist. Sie ist Teil unserer Herkunft und Identität und damit Mitgift für unsere Zukunft. Sie geht uns alle an! Deshalb wollen wir die Madonna in unsere Mitte holen. Sie soll Kinderlachen hören, Stimmengewirr und lebensfrohe Musik. Sie soll Zeugin unserer Suche nach Stille und Einkehr sein. Pilger sollen in Zwiesprache mit ihr gehen und gestärkt die nächste Wegetappe beginnen können. Wir wollen, dass unsere Dorfkirche – das Gotteshaus – ein besonderer Erlebnis-, Erfahrungs- und Lernort ist, von dem aus sich Geschichte, Kunst und sogar der Kulturraum begreifen lässt. Und selbstverständlich unsere kulturprägende christliche Religion. Wir wollen Leben in die Kirche bringen: Kunst, Musik, Literatur und Wissen, das mit allen Sinnen erfasst werden kann und unsere eigenen Begabungen. Wir wollen damit Gelder einwerben. Die Gelder werden gebraucht, um die sakralen Kunstwerke zu sichern und restauratorisch zu bewahren. Unsere Kirche – die Marienkirche zu Horburg mit dem Werk des Naumburger Meisters am Pilgerweg – soll als offene Kirche im Dorfe bleiben.