Fünf Texttafeln zur Ausstellung „Architektur des Lichts. Poensgen in Horburg.“ anlässlich des Tages des Offenen Denkmals 2019 berichten über die künstlerische Idee, die künstlerische Handschrift und den Entstehungsprozess der Horburger Fenster. Erstmalig werden die künstlerischen Entwürfe für sämtliche Fenster der Marienkirche der Öffentlichkeit präsentiert.
In stündlichen Führungen wird anhand unterschiedlichster Materialien, „Fensterelemente“ und Arbeitsproben außerdem Einblick gegeben in den Schaffensprozess in der Glaswerkstatt Schneemelcher in Quedlinburg. Deren Meisterschaft sichert Hand in Hand mit dem Künster sakrale Glaskunst von hohem Rang.
I HORBURGER MADONNA UND DAS NEUE KLEID AUS LICHT
Die Horburger Madonna macht
die kleine Pilgerkirche in der Aue zu einem Mekka der Kunstfreunde. Die
Skulptur des Naumburger Meisters aus der Zeit um 1250 verbindet Horburg mit den
Domen von Naumburg, Meißen und Merseburg. Seine Bildwerke zählen zu den
bedeutendsten Kunstwerken des europäischen Mittelalters.
Ein solches Meisterwerk der
Gotik stand als Weinende Madonna von Horburg Jahrhunderte lang im Zentrum einer
florierenden Wallfahrt.
Die spätere Geschichte der Horburger
Madonna ist bewegt. Sie erlebte Reformation, Bildersturm, Verschwinden,
Vergessen, Wiederentdeckung und erneutes Vergessen. Seit einigen Jahren wächst kontinuierlich
das Interesse von Kunstfreunden, von Pilgern und von Menschen, die eigens zum
Gebet hierher kommen.
Die Madonna ist angekommen
in der Gegenwart. Sie ist unser aller Kulturerbe. Mit bürgerschaftlichem
Engagement und in Partnerschaft mit der Kirchgemeinde wird es für den
Kunstschatz in der Dorfkirche auch eine Zukunft geben.
Folgerichtig wird die Horburger
Marienkirche mit architekturbezogener Glasmalerei von hohem künstlerischen Rang
einen Fingerabdruck unserer Zeit erhalten. Wir stellen erstmals die Entwürfe
sämtlicher Kirchenfenster von Jochem Poensgen vor. Seine Madonnenfenster verbinden
Horburg mit Kirchen und Kathedralen in ganz Europa und den USA.
II KIRCHENFENSTER UND RAUMBILD
Die Ausdruckskraft des
gotischen Meisterwerkes von Horburg verlangt nach einem Kontrapunkt im
ikonographischen Bildprogramm. Der wird mit den zukünftigen Kirchenfenstern
gesetzt sein. Architektur, Licht und Kunst werden zu einer neuen Einheit und
spirituellen Qualität verschmelzen.
Seit jeher prägen
Kirchenfenster das Raumbild, die Atmosphäre und den liturgischen Charakter
einer Kirche. Bestechend wirken die farbstarken Monumentalfenster in gotischen
Kathedralen oder auch die modernen expressiven Glasmalereien eines Neo Rauch,
Tony Cragg oder Günter Grohs in Kirchen unserer Region.
Die künstlerische Handschrift
von Jochem Poensgen – er gehört in den Kreis der namhaftesten Glasmaler unserer
Zeit – tritt in einen diskreten Dialog mit dem Werk des Naumburger Meisters.
Seine Gestaltung konkurriert nicht. Sie stiehlt nichts von der Größe,
Erhabenheit und Schönheit des gotischen Meisterwerks. Behutsam und dennoch
ausdrucksstark kleidet Poensgen die Madonna in ein Kleid aus Sonne und schlägt
damit den bildhaften Bogen zur Offenbarung des Johannes.
Seine Glaskunst verschmilzt organisch
mit Architektur, Raumausdruck und Kunstausstattung der Kirche.
III DIE KÜNSTLERISCHE HANDSCHRIFT
Neben den kleinen gotischen Fensterformaten
stehen die großen Fensterdurchbrüche des ausgehenden 19. Jahrhundert. Die inzwischen
verschlissenen Fenster wurden nach 1930 installiert.
Die ersten beiden Fenster,
die mittlerweile die Horburger Madonna am neuen Standort rahmen, zeigen das künstlerische Kompositionsprinzip für die
Gesamtausstattung. Der Stil Jochem Poensgens wirkt mathematisch, seriell, abstrakt,
graphisch und computeraffin. Eine gedankliche Verbindung zu Moholy Nagy stellt
sich ein. Poensgen gilt manchen als asketisch und kühl. Mit seinen Arbeiten darf
der „coole Poensgen“ der klassischen Moderne zugerechnet werden. Seine
Ausbildung in Wuppertal, die Jahre in Düsseldorf, aber mehr noch seine
Wahlverwandtschaft zur französischen Kunst der Gegenwart haben Jahrzehnte lang seine
künstlerische Haltung geformt.
Nicht Form, Figur und Farbe
sind Kern seiner künstlerischen Auffassung, sondern die Modulation des Lichts
durch Sonnenstand, Schattenspiel, Vegetation, Witterung und Jahreszeit. Die Außenseite
der Fenster wird sorgfältig mit einer eigenen Ästhetik gestaltet.
Farbe scheint in der
Gestaltung Poensgens beinahe nebensächlich. Er verlässt den Pfad der
Glasmalerei und stellt seine Gestaltung in den Dienst der Architektur und des
Raumes. Das ist auch eindrucksvoll in der Klosterkirche von Jerichow zu erleben.
IV KOMPOSITION DER SAAL- UND CHORFENSTER
Seinen künstlerischen Entwurf
entwickelt Poensgen stets aus einem komplett durchkomponierten Grundelement
heraus. Es zeigt bereits alle Merkmale von Geometrie, Material und Farbfassung,
die im endgültigen Fenster durch Variationen ihre Vollendung finden.
Das Grundelement und die
Entwurfszeichnungen werden ergänzt durch die sog. Bemusterung und die Fertigung
eines Probefensters in Gemeinschaft von Künstler und ausführender Werkstatt.
Dazu gehören die Auswahl der Gläser, der Farben und des Bleis. Ein schriftlicher
Ausführungskommentar enthält sämtliche Gestaltungsdetails und
Arbeitsanweisungen, die für die spätere Fensterfertigung notwendig sind. Auf Basis
von Bemusterung, Probefenster und Kommentierung wird die Fertigung Gläser beauftragt.
Der Werkstattmeister interpretiert den Entwurf im Beisein des Künstlers auf dem
Leuchttisch. Durch Farbaufträge in Silbergelb und das Einbrennen bei 630 Grad Celsius
entsteht die erwünschte Intensität und Leuchtkraft der Gläser.
Der Variationsreichtum
entsteht durch die behutsame Modulation der Geometrie, des Farbspektrums von orangegelb
und gelb, über Grau- und Weißtöne sowie die Kombination von Klar- und
Mattgläsern. Weitere Elemente der Gestaltung sind das sorgfältig ausgearbeitete
Bleinetz als „grafisches“ Element sowie die Plastizität, Nuancierung,
Tiefe und Blasierung des Glases.
Gearbeitet wird mit
mundgeblasenen Echtantikopalgläsern aus der Glashütte Lamberts in Waldsassen.
Erst die exzellente
künstlerische und handwerkliche Partnerschaft mit der namhaften Glaswerkstatt
Schneemelcher in Quedlinburg gibt der künstlerischen Idee ihre endgültige
Gestalt als Kirchenfenster.
V HORBURGER GLASMALEREI – VARIATIONEN
Den künstlerischen Höhepunkt
bilden die beiden Fenster links und rechts der Horburger Madonna. Ihre
beeindruckende Wirkung beziehen sie aus den Formen und Farben der sog.
Wolkenscheiben, aus dem durchkomponierten Bleinetz und der seriellen Wiederholung
des Grundelements. Die Sonne lässt im Umfeld pointillistische Teppiche von
blassgelb, grünlich bis zu tief leuchtendem Orangerot entstehen.
Eine Betonung erhalten auch
die zukünftigen Chorfenster, indem die Geometrie der Glaselemente in den Maßen
des definierten Rasters verändert wird. Die Farbwolken werden blasser, treten
jedoch durch ihre abgewandelte Positionierung und die rechteckigen Raster auf
der Fläche hervor.
Je weiter entfernt die
Fenster von der Madonna positioniert sind, um so „lichter“ und in der
Wirkung zurückgenommener werden in feinen Abstufungen die klaren, weißen und
grauen Fensterelemente. Somit entsteht ein Crescendo des künstlerischen
Ausdrucks von der Nordwand über den Chor bis hin zur Madonna.
Ein Solitär werden die drei
Fenster für den zukünftigen Raum der Stille in der Turmkapelle sein. Die
Glasmalerei in beeindruckender Farbtiefe von gelb, rot und blau wird einmal eine
einzigartige spirituelle Kraft entfalten. Eine künstlerische Kopie dieser
Fenster ist mittlerweile auf Kunstausstellungen im In- und Ausland gezeigt
worden und schließlich in die Dauerausstellung des Deutschen Glasmuseums in Linnich
eingegangen.
Helfen
Sie mit Ihrer Spende, das Gesamtprojekt Poensgens Madonnenfenster für Horburg
wahr werden zu lassen. Ihr Name könnte in einem der kleinen grauweißen
Glaselemente verewigt werden.